Eigentlich total klar – aber wann ist Dir das zuletzt bewußt gewesen? Ich bin gerade in Stockholm und habe in den letzten Tagen viel zum Thema Licht erlebt, gesehen und gefühlt, was es heißt, nur wenige Stunden Tageslicht zu haben. Deutlich weniger als bei uns und das nur 2 Flugstunden entfernt. Es hat eine große Wirkung auf mein Befinden. Wenn es ab 15.00 Uhr dämmert, merke ich, dass ich wirklich irritiert bin und kein Zeitgefühl mehr habe. Ab 19:00 Uhr habe ich das Gefühl es ist schon total spät und ich werde müde. Ob man sich daran gewöhnt, wenn man hier lebt? Was tun die Menschen hier um damit fertig zu werden?
Der besondere Zauber des Lichts
Mit dieser Entdeckung hat es angefangen, ganz unauffällig und faszinierend.
An meinem ersten Tag habe ich mich durch die Stadt treiben lassen. Ein paar besonders schöne Orte kenne ich schon. Ohne auf die Uhr zu achten, bin ich los. Am Morgen mit blauem Himmel und Sonne. Im Stadtteil Södermalm sind wunderschöne Geschäfte in den meistens 4-geschossigen Häusern erkennt man traumhafte Wohnungen. Ich war so fasziniert von den leuchtenden Farbflecken auf den Häusern in den Straßenzeilen. Erst ist es mir gar nicht aufgefallen, aber die Sonne habe ich gar nicht gesehen. Diese wunderschönen Lichtphänomen sind nur entstanden, weil die Sonne so tief steht und das zu ihrem Tageshöchststand um 12:00 Uhr.
Dieses Leuchten wir aber auch noch durch die warmen und kräftigen Farben befeuert. Der klare, blaue Himmel dazu einfach umwerfend.
Nach der Zeitumstellung bei uns zu Hause, habe ich jedesmal das Gefühl, jetzt ist es Winter. Ich stehe morgens im dunklen auf und komme im stockdunklen abends nach zurück. Aber das ist kein Vergleich mit dem wenigen Licht und der Dunkelheit hier in Stockholm.
Lichtverhältnisse im Norden – und plötzlich ist es dunkel.
Und dann dämmert es und wird weniger – bis es weg ist – das Tageslicht, plötzlich und absolut!
Die geografische Breite macht´s.
Der Unterschied im Tageslicht zwischen Schweden und Deutschland im Winter liegt hauptsächlich an der geografischen Breite und der damit verbundenen Position zur Sonne während der Erdrotation und Erdneigung.
Geografische Breite:
- Schweden liegt weiter nördlich als Deutschland. Städte wie Stockholm (ca. 59°N) befinden sich deutlich näher am Polarkreis (ca. 66,5°N), während deutsche Städte wie Berlin (ca. 52°N) südlicher liegen.
- Je weiter nördlich man sich befindet, desto flacher ist der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen im Winter, und desto kürzer ist der Weg, den die Sonne am Himmel zurücklegt. Dies führt zu weniger Tageslichtstunden.
Neigung der Erdachse:
- Die Erde ist um etwa 23,5° geneigt. Im Winterhalbjahr der Nordhalbkugel neigt sich diese von der Sonne weg.
- Dadurch treffen die Sonnenstrahlen in nördlichen Breitengraden (wie in Schweden) noch flacher auf die Erdoberfläche, und die Tage sind kürzer. Weiter südlich (z. B. in Deutschland) ist diese Wirkung weniger ausgeprägt.
Nähe zum Polarkreis:
- Teile Schwedens befinden sich nördlich des Polarkreises. Dort gibt es während der Wintersonnenwende sogar Polarnacht, bei der die Sonne überhaupt nicht aufgeht. Währenddessen hat Deutschland, durch die größere Entfernung zum Polarkreis, immer noch einige Stunden Tageslicht.
Jahreszeiten und Sonnenbahn:
- Im Winter zieht die Sonne in nördlichen Regionen einen niedrigeren und kürzeren Bogen über den Horizont. Dies reduziert die Tageslänge in Schweden stärker als in südlicheren Regionen wie Deutschland.
Die Tageslänge im Dezember beträgt
in Stockholm zur Wintersonnenwende nur ca. 6 Stunden.
In Berlin hingegen sind es etwa 8 Stunden.
Übrigens: zur Sommerzeit ist es umgekehrt: In Schweden gibt es im Sommer deutlich mehr Tageslicht, teilweise bis zu 24 Stunden in nördlichen Regionen.
Licht und Mensch
Was tut das Licht für uns
1. Regulierung des zirkadianen Rhythmus:
- Tageslicht steuert die „innere Uhr“ des Menschen, die den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert. Insbesondere das blaue Licht im Spektrum des Tageslichts signalisiert dem Körper, wach und aktiv zu sein. Mit zunehmender Dunkelheit wird die Melatoninproduktion angeregt, die den Schlaf fördert.
2. Psychisches Wohlbefinden:
- Tageslicht hat eine stimmungsaufhellende Wirkung, da es die Produktion von Serotonin anregt, einem „Glückshormon“. Ein Mangel an Tageslicht, etwa in den Wintermonaten, kann zu saisonal abhängiger Depression (SAD) führen.
3.Förderung der Gesundheit:
- Tageslicht unterstützt die Vitamin-D-Produktion in der Haut, die für Knochenstärke, das Immunsystem und die allgemeine Gesundheit unerlässlich ist.
- Es wirkt sich positiv auf den Blutdruck und die Herz-Kreislauf-Gesundheit aus.
4.Steigerung von Konzentration und Produktivität:
- In Studien wurde nachgewiesen, dass Menschen in Räumen mit Tageslicht besser lernen, kreativer denken und produktiver arbeiten.
Wie wirkt es auf uns
- Lichtintensität und Qualität:
- Helle, natürliche Lichtquellen wirken anregend und erhöhen die Wachsamkeit.
- Der Lichtfarbton beeinflusst die Stimmung: Warmes Licht kann entspannen, während kaltes Licht Energie gibt.
- Dauer des Lichteinflusses:
- Zu wenig Tageslicht, etwa durch das Arbeiten in fensterlosen Räumen, kann Müdigkeit, Stress und eine eingeschränkte kognitive Leistungsfähigkeit verursachen.
- Tageszeitliche Unterschiede:
- Morgenlicht hat eine besonders positive Wirkung auf den Start in den Tag und hilft, den zirkadianen Rhythmus zu synchronisieren.
- Abendliches Tageslicht ist hingegen weniger intensiv und bereitet den Körper auf die Ruhephase vor.
- Visuelle Wirkung:
- Tageslicht verbessert die Farbwahrnehmung und sorgt für eine angenehmere visuelle Umgebung, die das Auge entlastet.
Farben und Licht in Stockholm
Die Architektur in Stockholm ist bekannt für ihre charakteristische Farbpalette, die häufig warme, erdige Töne wie Ocker, Rot, Gelb und Terrakotta verwendet. Diese Farben dominieren vor allem in den historischen Vierteln wie Gamla Stan (der Altstadt), wo die Gebäude in warmen, einladenden Farbtönen gestrichen sind. In moderneren Teilen der Stadt finden sich oft auch neutralere Farbtöne wie Grau, Weiß und Pastellfarben, die ein zeitgenössisches Design widerspiegeln. Die Farbauswahl und Gestaltung der Architektur hat verschiedenen Gründe.
Historische Traditionen:
- Die Farben stammen aus der schwedischen Baugeschichte und sind in den damals verfügbaren Materialien begründet.
- Ockerfarben und Rottöne, etwa das berühmte „Falunrot“ (Faluröd), wurden aus Kupfererz gewonnen und waren sowohl preiswert als auch langlebig.
Psychologische Wirkung:
- Die Farbauswahl wie Rot, Ocker und Gelb wirken anregend, wärmend und tröstlich. Sie können helfen, den Mangel an Sonnenlicht auszugleichen und depressive Verstimmungen (z. B. Winterblues) zu lindern.
- Warme Farbtöne bilden einen Kontrast zur Winterlandschaft und bieten einen lebhaften Kontrast zur schneebedeckten oder grauen Umgebung und wirken dadurch visuell anregend und optimistisch.
- Das Wohlbefinden wird gefördert. Traditionell wurde in Skandinavien viel Wert auf „Hygge“ und „Lagom“ gelegt – Wohlbefinden und Harmonie. Die Farbgestaltung der Gebäude spiegelt diese Prinzipien wider und trägt zur allgemeinen Lebensqualität bei.
Die gezielt eingesetzten Farben zeigt, das kulturelle und klimatische Faktoren die Farbauswahl in der Architekturgestaltung beeinflusst. Es wird so eine Balance zwischen Tradition, Ästhetik und Funktion geschaffen, die speziell die dunklen Jahreszeiten berücksichtigt und in den tageslichtarmen Wintermonaten eine wohltuende Wirkung entfaltet.
„Das Ziel des Designs ist nicht nur die Schaffung schöner Objekte, sondern auch das Wohlergehen der Menschen zu fördern.“
Alvar Aalto, einer der einflussreichsten Designer Skandinaviens
Wie die Dunkelheit erleuchtet wird
So geht der Norden damit um: Neben der architektonischen Gestaltung unter Berücksichtigung der langen dunklen Zeit, gibt es traditionelle und kulturelle Unterstützung diese Zeit zu erhellen. Und da habe ich 2 besonderen Events kennengelernt und schätzen gelernt.
Lichterfest – Tradition bringt Licht in die Welt
Gerade komme ich von einem sehr bewegenden Besuch in der Storkyrkan, der Hauptkirche von Stockholm. Möt Lucia ( Treffe Lucia) ein Konzert des Stockholmer Musikgymnasiums Kammarkör. Ein wunderschöne Kirche, buntes Treiben und plötzlich geht das Licht aus. Die über 600 Besucher werden still. Von ganz weit her ertönt ein glockenklarer Gesang. Dann ist eine Prozession zu sehen aus singenden, weiß gekleideten Jugendlichen, die langsam nach vorne schreitet. Nach dem ersten Lied folgt Lucia. Eine unglaubliche Stimmung in der dunklen Kirche, zwischen den Stücken herrscht absolute Stille, so dass dieser Klang nicht unterbrochen wird. Sehr ergreifend. Nach einer Stunde, ziehen die Sängerinnen mit Lucia und dem traditionellen Lucia Lied aus der Kirche aus. Tosender Applaus.
Lichterfest
Lucia, das Lichterfest, gefeiert am 13. Dezember, ist ein schwedisches Lichterfest zur Weihnachtszeit. Es markiert den Beginn der Weihnachtszeit und basiert auf der Verehrung der heiligen Lucia von Syrakus, die für ihren Mut und ihre Barmherzigkeit bekannt ist. Sie bringt Licht in die dunkle Jahreszeit. Eine Prozession, angeführt von einer Lucia in weißem Gewand mit Kerzenkrone, singt traditionelle Lieder. Dazu werden „Lussekatter“ (safranfarbene Gebäckstücke) und Glögg serviert. Der Brauch symbolisiert Gemeinschaft, Hoffnung und Wärme.
Nobel Week Lights – bringt noch mehr Licht ins Dunkle
Die Nobel Week Lights ist ein jährliches Lichtkunstfestival in Stockholm, das parallel zur Nobelwoche stattfindet. Es feiert die Nobelpreise, indem Lichtinstallationen von Künstlern und Designern aus aller Welt an prominenten Orten der Stadt präsentiert werden. Die Installationen sind inspiriert von den Entdeckungen und Errungenschaften der Nobelpreisträger, von wissenschaftlicher Innovation bis zu Literatur und humanitärer Arbeit. Auch hier ist das Ziel, in der dunklen Winterzeit durch Lichtkunst eine leuchtende Atmosphäre zu schaffen und Kunst, Wissenschaft und Stadtleben zusammen zu bringen. Stockholm wird in ein leuchtendes Kaleidoskop verwandeln, lässt viele Menschen begeistert durch die Stadt ziehen und würdigt gleichzeitig die Nobelpreis-Tradition.
P.S.: Als wir gerade auf dem Weg zum Lucia Konzert waren, sind wir am Grand Hotel vorbeigekommen, an dem die Limousinen und ein Bus für Family Friends standen, die die geladenen Gäste zur Verleihung der Nobelpreise in das Stockholmer Konzerthaus bringen sollten. Wie aufregend.
Eine Erfahrung mehr…
Es ist doch immer wieder erstaunlich, dass die aktiven Erfahrungen, die wir machen, uns viel intensiver und klarer Themen vor Augen führen, als die tollsten Theorien. Das Gefühl und Wirkung auf uns selbst, helfen am Besten ein Verständnis zu entwickeln. Das heißt aber auch, dass wir Menschen für die Wichtigkeit dieser Gestaltungsaspekte nicht nur mit theoretischen Aspekten kommen können, um Sie für das Thema Licht in der Raumgestaltung zu sensibilisieren. Wir müssen mehr Geschichten und Beispiele aus dem täglichem Leben finden, Experimente überlegen, um besser überzeugen zu können. Licht bedeutet Leben und das richtige Licht kann unsere Lebensqualität deutlich unterstützen und verbessern. Bei uns zu Hause, in der Klinik, im Altenheim, einfach überall wo wir sind.
Lassen wir es leuchten – überall!